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Die internationale Recherche AG veröffentlicht eine vollkommen überarbeitete Neuauflage ihres Reports zur Beteiligung europäischer Unternehmen am Tren "Maya": https://deinebahn.com/ Der folgende Text bietet einen Überblick über die Situation vor Ort im Sommer 2022:

Die koloniale Schiene der Deutschen Bahn – Zur Neuauflage des Reports „Tren Maya Made in Germany“

So., 21 August 2022

Europäische Konzerne beteiligen sich am zynisch benannten „Maya“-Zug, einem zerstörerischen Megaprojekt im Südosten Mexikos. Es ist nicht die einzige Verwicklung der DB in Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Angriffe auf Autonomie und Freiheit gehören zum Geschäftsmodell des deutschen Staatskonzerns. Was macht „Deutschlands schnellster Klimaschützer“ in Mexiko, aber auch Katar oder Kolumbien?

 

Was ist das mit den Eisenbahnzügen?
In den Eisenbahnzügen, die rollenden Hotels gleichen,
heißt es,
Wohnt jetzt oft kein Mensch.
Er fährt nirgends hin
Mit einer unvergleichbaren Geschwindigkeit!
Was ist das mit den Brücken?
Sie verbinden jetzt Schuttplätze mit Schuttplätzen.
Und was ist mit den Menschen?
– Berthold Brecht

 

Berlin am Abend des 30. Oktober 2021: Rund einhundert Demonstrierende stehen vor dem DB-Tower am Potsdamer Platz. „Gegen die koloniale Schiene der Deutschen Bahn“ und „Gegen die Megaprojekte des Todes, von Lützerath bis Yucatán, von Kolumbien bis Kurdistan“ steht auf ihren Bannern und Schildern. Sie lauschen Ángel Sulub vom Nationalen Kongress der Indigenen in Mexiko (CNI). „In den Wagons des Tren Maya fährt die Auslöschung unserer Völker mit“ ruft er in Richtung der DB-Büros. Aus dem gläsernen Turm des Konzerns leuchtet hingegen eine ganz andere Botschaft auf ihn hinab: „Klimaschutz kann auch einfach sein“.

Es scheint, als sei ein Konflikt in Deutschland angekommen, der Mexiko seit Jahren spaltet: Während indigene Gemeinden um ihre Lebensgrundlagen fürchten, verspricht die Regierung „den Anschluss des Südostens an die Moderne“ – der „Maya“-Zug ist dabei das Vorzeigeprojekt des Präsidenten López Obrador. Auf 1.500 Kilometern verbindet er fünf Bundesstaaten und führt über die gesamte Yucatán-Halbinsel bis nach Chiapas. Mitten durch geschützte Ökosysteme und autonome indigene Gemeinden.

Dem offiziellen Diskurs folgend gibt es dabei nur Gewinner: Der Zug soll den Tourismus ankurbeln, einige der bedeutendsten archäologischen Stätten liegen auf seinem Weg, von den Maya-Pyramiden an der Karibikküste Tulums bis zu jenen im Regenwald von Palenque. Davon würde auch die lokale Bevölkerung profitieren: 110.000 Arbeitsplätze habe der Tren „Maya“ bis heute geschaffen, obwohl die Wagons frühestens 2023 rollen. Die Arbeiterinnen* hingegen berichten von Lohnausfällen, Lohnkürzungen, unwürdigen Arbeitsbedingungen und Ausbeutung von Migrantinnen* als billige Arbeitskräfte – mindestens ein Arbeiter starb bereits auf den Baustellen des „Maya“-Zuges. Für alle Menschen vor Ort solle sich die Mobilität verbessern, heißt es, und doch scheinen die Ticketpreise des kommenden „Maya“-Zuges höher als die der aktuell verkehrenden Busse. Die Bäuerinnen in der Region hätten bessere Möglichkeiten, ihre Güter zu transportieren, heißt es – und doch wird der „Maya“-Zug vor allem die Waren großer transnationaler Konzerne transportieren – denn: Im Schatten des Zuges fährt so einiges mit – „tatsächlich besteht der größte Fehler darin, den Maya Zug nur als Zug zu betrachten“, betont Dr. Sergio Prieto Díaz vom Colegio Ecosur in Campeche.

Angebunden an den „interozeanischen Korridor“, der in Oaxaca die schmalste Stelle zwischen Pazifik und Atlantik miteinander verbindet und wie ein zweiter Panama-Kanal auf Schienen fungieren soll, öffnet der „Maya“-Zug den Süden des Landes für den Weltmarkt – und die multinationalen Unternehmen: Während die Regierung meist den touristischen Aspekt hervorhebt, sollen 80 Prozent der Wagons für den Gütertransport genutzt werden. Dass diese die Produkte der Kleinbäuer*innen transportieren sollen, bezweifeln hier viele: „Sie werden genverändertes Saatgut großer Konzerne hierherbringen und Ressourcen von hier abtransportieren“, fürchtet etwa Sara Gonzalez aus Candelaria.

In vielen Regionen bewahrheitet sich dies bereits jetzt: Wo am Tren „Maya“ gebaut wird, entstehen Masttieranlagen und Soja-Monokulturen. Dabei soll es nicht bleiben: Die größten Gasvorkommen des Landes liegen vor der Küste, Öl wartet auf die Förderung. Und so werden der „interozeanische-“ und der „Maya“-Zug durch die Entstehung von Industrieparks begleitet. Fabriken und Raffinerien gehören zur „territorialen Neuordnung“ wie Hotelanlagen und sogenannte „Planstädte“.

Diesem „Fortschritt“ müssen die Menschen weichen, nach denen das „Zug“-Projekt benannt ist: Die Maya, Ch’oles, Tzeltales, Chontales, Tzoziles und andere indigene Gruppen.
„Die Menschen wollen den Maya-Zug“, heißt es hingegen von Seiten der zuständigen Tourismusbehörde FONATUR – die sich auch auf die vorgenommene Befragung der Betroffenen beruft: „Der Konsultationsprozess für den Maya-Zug war der größte, der jemals für ein Infrastrukturprojekt durchgeführt wurde“, verkündet die Regierung 2019 – und zeigt sich euphorisch: Über 90 Prozent der Menschen vor Ort hätten für das Großprojekt gestimmt. Es ist auch das ILO-169-Abkommen der UN zum Schutz der Rechte der indigenen Völker, welches Mexiko beim Eindringen von Großprojekten in indigene Territorien zu diesen Konsultationen verpflichtet.

Doch die angeblich überwältigende Zustimmung erweist sich schnell als Fassade – „Egal ob es regnet, donnert oder blitzt, der Maya-Zug wird gebaut, ob sie es wollen oder nicht“, verkündete López Obrador nur kurze Zeit nach den Befragungen in Campeche, auch als Antwort auf mehrere Klagen gegen den Baubeginn des Tren „Maya“. „Seltsam“, meint Dr. Sergio Díaz, „Ich dachte, die Menschen seien für den Maya-Zug?“

Er ist einer derjenigen, die Obrador als „Gegner des Fortschritts“ beschimpft – doch davon lässt sich Díaz nicht beeindrucken – und erklärt die hohe Zustimmung für das Projekt durch das, was viele Menschen in der Region als „Scheinkonsultierungen“ bezeichnen. „Es geht hier einfach um die Legitimation einer bereits getroffenen Entscheidung. Was die Indigenen wollen, spielt überhaupt keine Rolle“. Die Regeln für die Konsultierungen bei derartigen Projekten sind eindeutig: Sie müssen in den indigenen Sprachen angeboten und dem kulturellen Kontext angepasst vorgenommen werden, über alle Folgen informieren, einen freien Charakter bewahren – und vor Projektbeginn stattfinden.

Indigene Vertreter*innen, Wissenschaftler*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und mehrere UN-Institutionen kritisieren, dass diese Vorgaben verletzt worden sind: Viel zu wenig Menschen seien befragt worden, vor allem in den ruralen Regionen, betont Díaz. So wie in Hopelchén. Dort lebt Anastacio Oliveros: „In Escárcega haben sie die Menschen befragt – aber nicht hier, nicht in den indigenen Gemeinden. Denn sie wissen, dass wir gegen den Maya-Zug sind.“

In Tres Huastecas hat eine Konsultation stattgefunden – „aber sie haben uns nichts berichtet, sondern nur mit den lokalen Autoritäten gesprochen“, beklagt Idelfonso Santos vom Regionalen Rat der Indigenen in Xpujil. Dann sei eine Liste aufgetaucht, in denen die Namen der Befürworter*innen des Projekts festgehalten sind. „Meine Unterschrift steht in dieser Liste“, meint Santos, hebt die Augenbrauen und lächelt – „ich habe nie unterschrieben, das war eine Fälschung“.

Wie viele Indigene organisiert er sich gegen den „Maya“-Zug – was nicht unbeantwortet bleibt: „Die Konsultierungen werden häufig unter Drohungen, Kriminalisierung und Schikanen durchgeführt, wodurch ihr freier Charakter untergraben wird“, warnte das UN-Komitee gegen Rassendiskriminierung. Pedro Uc Be von der Maya-Versammlung Múuch Xíinbal wundert das nicht: Weil er sich gegen den Tren „Maya“ äußert, erhielten seine Frau, seine Kinder und er bereits Morddrohungen. In den letzten drei Jahren wurden in Mexiko 48 Aktivist*innen ermordet, die sich gegen derartige Megaprojekte wehrten.

2022 spüren einige, die zuvor noch für den Zug gestimmt und freiwillig ihr Haus verlassen hatten, was mit „Scheinkonsultierungen“ gemeint ist: Sandra Martínez etwa erklärt, dass sie einer Umsiedlung zugestimmt habe, „aber FONATUR ist dem versprochenen Bau der neuen Häuser nicht nachgekommen.“ Viele Menschen verlieren so ihre Lebensgrundlagen – und wenn sie der „Entwicklung“ nicht weichen wollen, drohen die Behörden nicht selten mit dem Einsatz der neu geschaffenen Nationalgarde.

„Ein Vorzeichen, das weltweit zur Kenntnis genommen werden sollte, ist die Präsenz des Militärs beim Bau und Nutzen dieser Megaprojekte“, sagt Nisaguie Cruz vom CNI – nicht nur bei den Konsultierungen oder den Vertreibungen des „Maya“-Zuges sind die Streitkräfte präsent: Sie bauen und verwalten ganze Streckenabschnitte – und: „Alle Gewinne aus dem Betrieb der Bahn kommen dem Militär zugute“, versichert Jiménez Pons, ehemaliger Direktor von FONATUR.
Doch auch die Militarisierung betrifft vor allem, was neben den Gleisen passiert: „Überall entstehen Militärbasen, derzeit sind rund 30.000 Soldaten allein der Nationalgarde im Südosten stationiert“, berichtet Dr. Ana Ceceña von der Nationalen Autonomen Universität Mexiko (UNAM).

Dahinter stehen auch geopolitische Interessen: „Stellt euch einen Zug von Küste zu Küste vor, umgeben von Militärbasen. Sie nennen es vielleicht ein Infrastrukturprojekt, de facto ist es eine Mauer“, erklärt Dr. Díaz. Migrant*innen auf dem Weg in die USA werden bereits zwischen Guatemala und Mexiko aufgehalten. Eine Praxis, die mit Obama begann und unter Trump intensiviert worden war: „Mexiko ist zum Türsteher der US-Regierung geworden. Unter Einsatz des Militärs werden Migrant*innen an ihrer Reise gen Norden gehindert, schwere Menschenrechtsverletzungen sind die Folge“, berichtete „Brot für die Welt“ 2020 aus Chiapas. Seitdem hat sich wenig geändert: „Trump hat es nicht geschafft, eine Grenzmauer fertigzustellen, geschweige denn Mexiko dazu zu bringen, sie zu bezahlen. Präsident Biden hat Mexiko gerade dazu gebracht, 1,5 Milliarden Dollar zu investieren, um die Grenzabfertigung durch intelligente, bewährte Grenzmanagementlösungen zu verbessern“, schwärmt der Stellvertretende Pressesprecher des Weißen Hauses am 13. Juli 2022.
Vieles spricht dafür, dass zu diesen „Grenzmanagementlösungen“ die Militarisierung Südmexikos gehört – Amnesty International und entsandte UN-Berichterstatter sind sich sicher, dass diese durch den „Maya“-Zug vorangetrieben wird.

Für Sicherheit sorgt das nicht. Wie bereits in Cancún, eine der ersten „Planstädte“, droht stattdessen die Machtübernahme der Organisierten Kriminalität. Im Schatten schillernder Hotelfassaden florieren Drogen-, Menschen- und Waffenhandel auf der Riviera Maya, die ursprüngliche Bevölkerung lebt in Armut. „Es ist weltweit eines der schlimmsten Beispiele für `ungleiche Entwicklung´“, konstatiert Dr. Díaz.
Der Name „Maya“-Zug erweist sich auch in anderer Hinsicht als irreführend: So wird dem Hinweis auf Umweltschäden entgegnet, dass es sich doch um ein umweltfreundliches Verkehrsmittel handle. Der parallele Ausbau von Autobahnen an der Route wird verschwiegen. Allein im „Abschnitt 1“ müssen 11 Millionen Bäume dem Zug weichen, mitten in der „Selva Maya“ – dem zweitgrößten Regenwald des Kontinents. In Quintana Roo führt er über die „Cenotes“ – unterirdische Höhlen- und Flusssysteme, die das größte Süßwasservorkommen des Landes beherbergen. Der Zug an sich stellt dabei, von permanenter Einsturzgefahr abgesehen, gar nicht das eigentliche Problem dar: Das Wasser wird v.a. durch Baustellen, intensivierte Landwirtschaft und Massentourismus kontaminiert. Über die „Cenotes“ ist aber auch ein Wasserzufluss an die Küste gewährleistet, grundlegend für die Existenz der Mangroven, die wiederum Nährstoffe für das zweitgrößte Korallenriff der Welt liefern – und den natürlichen Schutz vor Überflutungen bieten, die durch die Klimakatastrophe stetig zunehmen.
Diese ist in den Gemeinden schon lange spürbar: „`Das Problem hier in Calakmul´, erzählt Ernesto Martínez, `ist, dass es kein Wasser gibt. Und jetzt wollen sie 8.000 Touristen pro Tag hierherbringen?´, fragt er ungläubig und versucht, nicht zu lachen.“ Im Juli 2022 ist es so trocken wie nie zuvor, die mexikanische Wasserkommission Conagua hat den Notstand ausgerufen.
„Entwicklung für uns“, sagt Kleinbauer Alfredo Vásquez, „wäre ein Zugang zu sauberem Wasser“. Nur für die Touristen und Konzerne wird davon nach dem Tren „Maya“ noch genügend vorhanden sein, meint Sara Gonzalez – „ich weiß nicht woher, aber das Wasser wird kommen, wie durch ein Wunder“.

Eigentlich müssen in Mexiko Umweltverträglichkeitsstudien (MIAs) vorgelegt werden, bevor Projekte wie der „Maya“-Zug beginnen. Für viele Abschnitte sind diese jedoch nicht vorhanden. Gerichte beschlossen daher bereits mehrere Baustopps, die immer wieder ignoriert werden – zuletzt ordnete ein Richter im Mai 2022 einen Stopp der Arbeiten zwischen Tulum und Playa del Carmen an.
Doch auch im August 2022 graben Bagger zwischen den Maya-Pyramiden von Tulum und der Touristenstadt Playa del Carman an der mexikanischen Karibikküste eine Schneise durch den Regenwald. Denn die Verantwortlichen wollen am Start 2023 festhalten und griffen am 18. Juli 2022 zu einer ungewöhnlichen Maßnahme, um den definitiven Baustopp zu umgehen: Der Tren „Maya“ sei eine „Angelegenheit der nationalen Sicherheit“, erklärte Javier May, Direktor von FONATUR. Er berief sich dabei auf ein erst kürzlich verabschiedetes Dekret der mexikanischen Regierung, dass den Start von staatlichen Megaprojekten ohne eigentlich bindende Prüfverfahren erlaubt, wenn diese als „nationales Interesse“ definiert werden.

Der Tren „Maya“ ist ein neoliberales Militarisierungsprojekt zur wirtschaftlichen Erschließung einer gesamten Region. Indigene Autonomie und intakte Ökosysteme sollen dem Beispiel Cancún in die Ungerechtigkeit folgen, während die Festung gegen die Migrantinnen* verstärkt wird.

All dessen völlig ungeachtet beteiligt sich die Deutsche Bahn über ihr Tochterunternehmen DB Engineering & Consulting weiter am Tren „Maya“, eine Brücke verbindet den Schuttplatz Cancun mit dem seelenlosen Potsdamer Platz in Berlin. In beiden Fällen steigt die soziale Ungleichheit im Schatten schillerndere Hotel- und Bürofassaden, die gefühllos und kalt in den Himmel ragen, ohne nach den Menschen zu fragen.

Bereits 2018 hatte die Botschaft der BRD ein Treffen zwischen deutschen Unternehmen und FONATUR organisiert, 2019 begann die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein Projekt zur „nachhaltigen Nutzung der Selva Maya“, Unternehmen wie SIEMENS oder der TÜV Rheinland stehen als Interessierte in der Mitverantwortung. 2020 sicherte sich die DB als Teil eines Konsortiums mit den spanischen Unternehmen Renfe und Ineco einen Vertrag. Bis 2023 erhält der Konzern als sogenannter „Schattenbetreiber“ 8 Millionen Euro für Beratung „in allen Bereichen“. Genaueres ist über die Aufgaben der DB schwer zu erfahren, erst eine parlamentarische Anfrage lieferte 2021 überhaupt Gewissheit. Als eine internationale „Recherche AG“ nach der Veröffentlichung ihres Berichts „Tren Maya Made in Germany“ eine Stellungnahme der staatlichen DB und der weisungsbefugten Bundesregierung verlangte, antworteten beide mit Falschaussagen: Die Beteiligung sei unproblematisch, da u.a. das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) „in das Projekt eng eingebunden“ sei. Tatsächlich kritisiert das OHCHR das Projekt – und weist insbesondere auf die mangelhaften Konsultierungen der indigenen Gemeinden hin, die nicht die Vorgaben des ILO-169-Abkommens erfüllten.

Am 23. Juni 2022 ist dieses Abkommen auch in Deutschland in Kraft getreten – spätestens jetzt muss die Bundesregierung ihre Weisungsbefugnis gegenüber der DB durchsetzen und den Rückzug aus dem Projekt verlangen, betont Christian Russau vom ILO-169-Koordinierungskreis und Dachverband der Kritischen Aktionär*innen.
Nicht nur in Mexiko widerspricht die DB-Beteiligung der deutschen Ratifizierung des Abkommens: Auch in anderen Regionen der Welt bedeutet der „einfache Klimaschutz“ der „grünen und sozialen DB“ eine Vernichtung Indigener Völker:

„Das Monster“ nennt die lokale Bevölkerung die Kohlemine „El Cerrejón“ in Kolumbien. Die Mine gräbt der indigenen Bevölkerung das Wasser ab, Kinder erkranken durch die Verschmutzung der Luft, riesige Landstriche werden zerstört, zurück bleibt eine Wüste. Wer trotzdem hier lebt wird enteignet und vertrieben. Polizei, Militär und paramilitärische Einheiten, ausgerüstet mit deutschen Waffen und schwerem Gerät terrorisieren die Gemeinden. Wer sich wehrt, zahlt den Preis für den „einfachen Klimaschutz“: Mindestens 611 Umweltaktivist*innen wurden seit 2011 in Kolumbien ermordet.
2017 schritt das Verfassungsgericht des Landes ein und stoppte den Ausbau der Mine, die weitere Umleitung des für die indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden überlebenswichtigen Flusses Rio Rannchería wurde verboten. Bis 2022, als Bundeskanzler Olaf Scholz einen Anruf tätigte.

Im deutschen Kohlekraftwerk Datteln IV wurde schon immer Kohle aus Kolumbien verbrannt. Vor allem aber aus Russland, ebenfalls aus indigenen Territorien, wurde Steinkohle importiert, nachdem das „grüne und nachhaltige“ Deutschland den Kohleausstieg beschloss. Doch seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine muss sich nach neuen Quellen umgesehen werden. Die Importe kolumbianischer Kohle stiegen daraufhin sprunghaft um 690.000 Tonnen allein im März 2022 an. Dass Datteln IV trotz Kohleausstieg und fehlender Genehmigungen überhaupt in dieser Größe ans Netz ging, liegt auch an den Zusagen der Deutschen Bahn, bis in die 2030er Jahre gewaltige Strommengen aus dem Kraftwerk zu beziehen, bis zu einem Viertel des gesamtdeutschen Bahnstroms. „100 Prozent Ökostrom“ verbraucht der Konzern nämlich „nur auf dem Papier“ – und erwirbt entsprechende Zertifikate.

Am anderen Ende des Telefons saß Ivan Duque, damals noch Präsident Kolumbiens und bekannt für Menschenrechtsverletzungen. Olaf Scholz soll ihn unter Druck gesetzt haben, die Kohleförderung zu intensivieren. Unterstützung leistet Deutschland dabei auch für die notwendigen Repressionen – neben Waffenlieferungen besteht ein Militärabkommen zwischen den beiden Ländern – trotz der zahlreichen Verbrechen der kolumbianischen Sicherheitskräfte, die unter anderem dutzende Demonstrierende und viele Jugendliche während der Proteste 2021 erschoss – mit deutschen Waffen.

Im August 2022 erhalten wir Antwort auf eine weitere parlamentarische Anfrage über den Bundestagsabgeordneten Bernd Riexinger. Darin bestätigt die Bundesregierung, dass die DB AG auch 2022 Strom aus dem Klimakiller Datteln IV bezieht – und sich der „Bahnstrommix“ bis mindestens (!) 2038 auch aus nicht-erneuerbare Energien speisen soll.

Auch in Mexiko profitiert die deutsche Rüstungsindustrie vom „Maya“-Zug: Das mexikanische Militär kauft seit Jahrzehnten deutsche Waffen, sie kommen auch bei paramilitärischen Angriffen auf Studierende oder auf die zapatistischen Gemeinden in Chiapas zum Einsatz – durch den „Maya“ Zug kreisen die Soldaten Autonomiegebiete und Migrationsrouten nun vollkommen ein.

Die Deutsche Bahn hat dabei bereits ihre Erfahrungen mit Waffen: Schenker, einst großer Profiteur und Täter im Nationalsozialismus, transportiert heute Rüstungsgüter auf der ganzen Welt, ist größter Logistikpartner der NATO und der bekanntesten Waffenmessen.
Dass die DB das abscheulich angehäufte Vermögen der für die Shoah mitverantwortlichen „Reichsbahn“ erbte, interessiert den Konzern dabei nicht: Stattdessen geht er gegen das Gedenken an die Deportierten vor, verweigert Reparationszahlungen und bedroht das Mahnmal der im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma durch eine neue S-Bahn-Linie.

Und während die DB zur Nazivergangenheit der Schenker-Tochter schweigt, verkündet der Konzern 2022 voller Stolz und Traditionsbewusstsein: „Erfolgreichstes Halbjahr seit 150 Jahren: Den mit Abstand größten Beitrag zum aktuellen Konzernerfolg leistete DB Schenker. Sie konnte ihren operativen Gewinn im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2021 auf rund 1,2 Milliarden Euro fast verdoppeln“

In Katar unterstützt die DB die Bauarbeiten für die Fußball-Weltmeisterschaft, die bereits tausenden Arbeitssklaven das Leben kostete – der „Schnellste Klimaschützer Deutschlands“ ist eben kein soziales Unternehmen, sondern ein weltweit mit Schiffen, Flugzeugen, LKWs und Bahnen agierender Megakonzern, der nur an Profit orientiert ist – der in den Taschen des Vorstands landet, der gegen Protest der eigenen Arbeiterinnen* gerne auch gerichtlich vorgeht. Statt sich um bezahlbare Preise, eine umweltfreundliche Infrastruktur und faire Arbeitsbedingungen in Deutschland zu kümmern, verlegt der Konzern lieber eine koloniale Schiene durch Mexiko:

Schon 1881 sollte ein Zug „den wilden Süden“ erschließen, 2012 stellte Peña Nieto den Plan des „Tren Transpeninsular“ vor. Immer wieder scheiterte das koloniale Projekt am Widerstand der Maya. Jetzt ist es nach ihnen benannt – und so weit fortgeschritten wie nie zuvor. Ob die Wagen – gebaut vom französischen Konzern Alstom – jemals rollen, ist offen. Doch die negativen Folgen sind bereits spürbar. Um den Zug aufzuhalten, sei auch Widerstand in jenen Ländern notwendig, aus denen sich große Unternehmen am Projekt beteiligen, meint Pedro Uc Be – „Andernfalls, so scheint es mir, wird das Maya-Volk dazu verurteilt sein, zu verschwinden: Unsere Sprache wird verschwinden, unsere Kultur wird verschwinden – und was als `Maya´ übrig bleiben wird ist ein Hotel, ein Restaurant, eine Buslinie, ein Zug…“

Es ist auch ein Kampf gegen die Behauptung, Klimaschutz im Kapitalismus sei möglich. Die Deutsche Bahn steht hier nur exemplarisch für die falschen Behauptungen eines „grünen Kapitalismus“, von „Klimaschutz für Wohlstand“ und „nachhaltiger Entwicklung“: Nachhaltig wird in der praktischen Umsetzung dieses Diskurses meist nur eines gemacht: Ausbeutung und Zerstörung – vor allem im „Globalen Süden“. Wirklicher Klimaschutz ist nicht einfach, denn er erfordert einen grundlegenden Systemwandel. Die angebotenen „Lösungen“ finden auf dem Rücken der Ärmsten statt, insbesondere der indigenen Völker. Unsere „grüne“ E-Mobilität zum Beispiel führt zu Ökozid und Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt – Kobalt wird durch Kinder- und Sklavenarbeit in weiten Teilen Afrikas abgebaut, für unseren Hunger nach Nickel brennen Militärs in Guatemala indigene Gemeinden nieder, und nach Lithium wird inzwischen nicht nur in Bolivien gesucht – auch in Portugal werden Naturschutzgebiete umgegraben – und das größte Lithium-Vorkommen Europas liegt übrigens in der aktuell umkämpften Donbass-Region.
Die indigenen Völker sind einmal mehr auch Opfer dieses Krieges mitten in Europa: Die Nachfrage nach Flüssiggas aus den USA und Kanada bedroht die letzten Territorien der Indigenen Nordamerikas, der Kohlehunger wird in Kolumbien gestillt, es sind nur zwei Beispiele einer möglichen Auflistung.

Wirklicher Klimaschutz erfordert zuallererst die Einhaltung der Menschenrechte: Das reichste ein Prozent schädigt das Klima doppelt so stark wie die ärmere Hälfte der Welt. Und unser „einfacher Klimaschutz“ geht gerade gegen die vor, die das Klima wirklich schützen: 80 Prozent der weltweiten Biodiversität findet sich in indigenen Territorien. Im Namen des Naturschutzes werden diese von aus Deutschland oder dem WWF mitfinanzierten Folterbanden vertrieben – ob in Tansania, dem Kongo oder Mexiko – und nicht selten folgt dann ein profitables Megaprojekt wie der „Tren Maya“ – Made in Germany.

Die vollkommen überarbeitete Neuauflage des gleichnamigen Reports der Recherche AG ist frei verfügbar auf https://deinebahn.com/

Victor Hübotter, August 2022

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