DOUZ 2014
Fachkräftetagung des Auswärtigen Amts in Tunesien
Tunesien Austausch für Fachkräfte der Jugendarbeit
Sara Opitz und Klaus Windolph nahmen für PROTERRA vom 6.-12.11.2014 an einer Tagung des Auswärtigen Amtes in Douz teil. Douz ist eine kleine Oase im Süden Tunesiens. Sie liegt im Gebiet der Sahara im Grenzgebiet zu Libyen und Algerien. Klaus Windolph war dort schon einmal 1977 gewesen. Seitdem hat sich viel verändert. Die Region weist erhebliche Entwicklungsdefizite auf, die noch durch den Einbruch des Tourismus‘ und das Einsickern von Terrorgruppen aus den Nachbarländern verstärkt werden. Eine Region, von der die tunesische Revolution ausging, die aber sozial besonders benachteiligt ist! Ziel des Treffens war ein Dialog deutscher und tunesischer Fachkräfte aus verschiedenen Institutionen.
Hoffnungsvolle Entwicklung – Eindrücke aus Tunesien zwischen den Wahlen
Am 26.10.2014 verlief die erste Parlamentswahl nach der Revolution des Arabischen Frühlings von 2011 auf der Basis der neuen Verfassung friedlich. Die Bevölkerung wählte die islamische Ennahda-Partei ab und führte so einen demokratischen Machtwechsel herbei. Noch im November 2014 wird auch der Präsident neu gewählt. Seit 2011 arbeitet der Verein unterwegs e.V. mit Partnern im südlichen Teil des Landes und organisierte auch vom unseren Austausch 6.-12.11.2014 für Fachkräfte der Jugendarbeit.
„Bei meiner Ankunft spürte ich sofort, dass der Enthusiasmus für die Revolution und die Demokratie wieder zurück ist“, beschreibt Projektkoordinator Andreas Joppich kurz und knapp die aktuelle Stimmung.
Nachdem sich die Bevölkerung 2011 mit friedlichen Protesten von der Diktatur Ben Alis befreit hatte und erste demokratische Wahlen stattfanden, wurde überall im Lande über dessen Zukunft diskutiert. Basisdemokratische Komitees regelten das öffentliche Leben auf lokaler Ebene. Jeder durfte und wollte sich in die Entwicklung des Landes einbringen.
Doch zunehmend entstand Frustration. Die neue Freiheit brachte bisher auf wirtschaftlicher Ebene keine Verbesserungen. Im Gegenteil, durch die Umstrukturierung der Behörden liefen z.B. viele Aufgaben im Verwaltungsbereich nicht geordnet ab, Firmen zogen sich aus Tunesien zurück und Touristen blieben aus. Die Ennahda-Regierung wollte eine islamisch geprägte Verfassung durchsetzen, ein Versuch, der die Gesellschaft spaltete. Doch die Parlamentswahlen zeigten nun, dass die Demokratie in Tunesien lebt. Über 60% beteiligten sich. Säkulare Kräfte sind die klaren Gewinner der Wahl.
Der Erfolg der demokratischen Revolution in Tunesien ist nach Ansicht von Andreas Joppich auf drei wichtige Akteure zurückzuführen:
1. Tunesien hat historisch schon immer eine starke Frauenrechts-Bewegung. Diese zwang bereits 1956 Staatsgründer BOURGUIBA dazu, Frauen und Männer weitgehend gleichzustellen und die Polygamie zu verbieten. Diese Rechte werden auch heute gegen alle Versuche der Einschränkung verteidigt.
2. Die intellektuelle Demokratiebewegung des Arabischen Frühlings konnte bisher weniger gebildete Schichten nicht erreichen, weshalb sich jene in vielen arabischen Ländern islamischen Parteien zuwenden. Tunesien jedoch hat eine starke Gewerkschaft, die auch zu Zeiten Ben Alis als Fürsprecher der einfachen Menschen galt und die sich gegen eine Islamisierung und damit Polarisierung des Landes stellt. Für viele Arbeiter*innen und Arbeitslose ist die Gewerkschaftsbewegung mit ihrem Ansatz für Menschenrechte und die Institution des Vertrauens, weniger islamische Organisationen, die Almosen verteilen.
3. Aus der Revolution heraus gründeten junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen. Da noch wenig Erfahrung mit politischem Engagement bestand, nahmen die Aktiven an vielen Fortbildungen teil, u.a. an den Angeboten des unterwegs e.V. im Rahmen der Transformationspartnerschaft des deutschen Auswärtigen Amts. Zunehmend wurden die neuen Kenntnisse in Aktivitäten umgesetzt. Sie organisieren Workshops, Vorträge, Kampagnen zu Demokratie und Menschenrechten. So organisierte AMEDD, Partner des unterwegs e.V., in der Oase DOUZ mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung Gespräche zwischen politischen Parteien und den Bürger*innen über die Zukunft der Region. Auch wenn die einzelnen Organisationen klein sind und kaum Durchschlagskraft haben, so ist doch eine neue gesellschaftliche Szene entstanden. „Was mich besonders beeindruckt sind zwei Dinge“, meint Andreas Joppich. „Erstens das Gemeinschaftsgefühl unter den jungen Aktivist*innen. Egal ob sie aus dem wirtschaftlich starken Norden oder strukturschwachen Regionen kommen, Männer oder Frauen sind, Künstler oder Techniker, sobald sie zusammenkommen, spürt man diese intensive Verbindung. Und Zweitens die Kompetenzen, die diese jungen, nicht selten arbeitslosen Menschen sich durch Fortbildungen und während ihres Engagements angeeignet haben.“
Nach dem Tod von zwei Oppositionspolitikern und einem umstrittenen Verfassungsentwurf der Ennahda-Partei stand 2013 alles auf der Kippe. Die genannten Gruppierungen jedoch organisierten Bürgerproteste und zwangen die Regierung zum Rücktritt. Stattdessen wurde ein landesweiter Dialog mit verschiedensten zivilgesellschaftlichen Gruppen durchgeführt. An dessen Ende stand eine Verfassung, die mit der erfolgreichen Wahl bestätigt wurde.
Diese positive Perspektive nahmen auch die Fachkräfte des Austauschprogramms wahr. „Tunesien ist ein kleines Land, aber es kann der Schlüssel für einen Kulturdialog mit der arabischen Welt sein“, meint Heidemarie Wünsche-Pietzka vom Berliner Institut Dialog International. Steffen Benzler meint: „Am Anfang war ich mir unsicher, wegen der politischen Lage. Aber die Sorge war unnötig. Das Land, die Menschen und vor allem die politische Bewegung haben mich fasziniert. Ich freue mich, wieder hierher zu kommen.“
Andreas Joppich, unterwegs e.V. , Berlin