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Graffiti in Guatemala

Die „Ahlem-Kastanie“ über Pachaj „in die Welt“ tragen

Sa.., 15 Februar 2025

Victor in Guatemala   

Die „Ahlem-Kastanie“ über Pachaj „in die Welt“ tragen

Das  „Wandbild der Kastanie“ hier im Wiederaufforstungsprojekt Chico Mendes

vom 4.2.2025 von Victor aus Pachaj.

 

Eine Kastanie gegen die Gefängnisse

 

Ich bin noch immer in Pachaj, der Maya-Quiché Gemeinde bei Cantel in der Nähe von Quetzaltenango. Hier hat fast jeder Verwandte, Freund*innen oder Angehörige in den USA. Ein Großteil des Geldes vieler Familien stammt aus den „Remesas“, den Beträgen, die sie von ihren Angehörigen in den Staaten erhalten. Viele von ihnen verschulden sich, um die gefährliche Reise durch Mexiko auf sich zu nehmen, um anschließend in der Landwirtschaft oder auf dem Bau in Dollar zu verdienen, unter meist sehr prekären Arbeitsbedingungen. Es ist eine historische Ausbeutung, die hier Teil der Kultur ist. Nur wenige Meter von Pachaj entfernt, bei Salcaja, steht auf einem zentralen Verkehrskreisel ein großes Denkmal für die Migrant*innen: Ein junger Mann mit geschultertem Rucksack, der entschlossen gen Norden läuft, doch den Blick zurückgewandt und die Hand zum Abschied erhoben hat.  

Nun ist Trump zurück im Weißen Haus, und in Guatemala treffen die ersten Deportierten ein, auch in Cantel. In den USA haben alle Angst davor, festgenommen und abgeschoben zu werden, manche rufen ihre Familien in Pachaj nicht mehr an, aus Sorge, so entdeckt zu werden, andere erzählen von Sheriffs, die an Straßenkreuzungen oder vor dem Walmart (den die Migrant*innen selbst mit ihrer Feldarbeit füllen) Migrant*innen aufgreifen. Doch heute, am Montag, den 3.2. sind sie zu Hunderttausenden auf der Straße und demonstrieren, vom eisigen New York bis zum abgebrannten Los Angeles.

In Deutschland wiederum gibt es kaum noch eine Partei, die nicht für schärfere Menschenverachtung an den Grenzen wirbt, und die AfD kann sich freuen, dass nicht nur die CDU, sondern über SPD und Grüne eigentlich alle nach und nach ihre Forderungen kopieren: „Wir lassen doch weniger Menschen ins Land, wir schieben doch mehr ab, wir sperren die Menschen doch in Abschiebegefängnisse, wieso müsst ihr, böse CDU, denn mit der AfD stimmen?“…

Solch eine „Debatte“ im Bundestag findet wenige Tage nach der Warnung der Überlebenden Margot Friedländer anlässlich des Holocaustgedenktages, die Menschlichkeit nicht zu vergessen, völlig schamlos statt. Und in Hannover wird am Tag der ersten CDU-AfD-FDP Mehrheit ganz passend ein Kranz des Holocaustgedenktages mutwillig zerstört, damit häufen sich die Angriffe auf die Gedenkstätte Ahlem.

Ahlem und Pachaj… das scheint weit voneinander entfernt. Ist es aber nicht. Und so haben wir die Tage der Trump- und AfD Triumphe genutzt, um ein ganz besonderes Wandbild fertigzustellen, welches ich hier mit euch teilen möchte.

Auf dem Gelände der Gedenkstätte Ahlem steht eine sehr alte Kastanie, man erzählt, sie steht schon seit 200 Jahren dort. Sie hat viel erlebt: Die Gartenbauschule, einen Ort der Hoffnung, in dem jüdische Kinder und Jugendliche eine Ausbildung erhielten und sich nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten auf die Auswanderung „von Ahlem in die Welt“ vorbereiten konnten. Und sie hat die Zeit des Terrors miterlebt, als das Gelände zum Sammelpunkt für die Deportationen aus Hannover in die Konzentrationslager wurde, und als die Gestapo hier ihr Gefängnis errichtete. Kurz vor ihrer Niederlage richteten die Nazis in der hölzernen „Laubhütte“, gleich neben der Kastanie, noch Häftlinge hin, bevor sie die Beweise in die Hütte brachten und diese anzündeten. Die Kastanie hat das alles erlebt – und von dem Feuer eine Narbe davongetragen, die noch heute deutlich zu sehen ist, und eine Mahnung darstellt. Es ist eine „Zeitzeugen-Kastanie“, ein bedeutender Baum der Erinnerung an Hoffnung, Terror und Widerstand. In Workshops in der Gedenkstätte Ahlem wollen wir diese Erinnerung für immer am Leben halten – und so begannen wir, den Schulklassen nach ihrem Besuch aufgezogene Setzlinge der „Ahlem-Kastanie“ mitzugeben, damit sie diese einpflanzen in Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus, des heutigen Rechtsextremismus oder anderen Themen, die sie selbst aufarbeiten:

https://andreanum.de/index.php/unterricht/gesellschaft/geschichte/neues-aus-der-fachschaft/183-neues-aus-der-fachschaft/638-was-eine-kastanie-erzaehlen-koennte

Im Hochland Guatemalas, im Schatten des Vulkans Santa Maria, steht in der Maya-Quiché Gemeinde Pachaj ein altes Lehmhaus, liebevoll „La casa de los tatuajes“ genannt – „das tätowierte Haus“.  Der Name rührt von den vielen Wandbildern her, die hier seit Jahrzehnten entstanden sind: Sie zeigen bunte Vögel und viele Bäume, Che Guevara, die Nahuales der Maya, den Ablauf der Photosynthese in einfachen Darstellungen, verständlich für alle, die hier in Richtung Maisfeld laufen oder auf den gelben Bus warten, der einen in die nächstgelegene Stadt Xela bringt. Auf einem weiteren Wandbild ist das Gesicht eines lachenden Mannes abgebildet: Es ist Chico Mendes, der brasilianische Umweltschützer, der 1988 für seinen Widerstand ermordet wurde. Es ist das Haus des nach ihm benannten indigenen Wiederaufforstungsprojektes: Hier in Pachaj, Cantel, Quetzaltenango, Guatemala, gibt es zwar keine Gartenbau- aber eine Baumschule: Hier pflanzt Armando mit Arbeiter*innen, Schulklassen und Freiwilligen seit 25 Jahren geschützte Baumarten, oder solche, die geschützte Tierarten anlocken, wie den Quetzal. Das Ziel: Auf diese Weise soll die Zerstörung der wichtigen Bergwälder mit seinen Wasserquellen genauso verhindert werden wie der Raub von indigenem Gemeindeland – dieses ist etwa bedroht durch illegale Abholzung – oder ein Gefängnis, welches der Staat auf dem Land der Menschen errichten ließ. Drumherum: frisch gepflanzte Bäume, tausende…

Dieser friedliche, intelligente Widerstand, der zudem der Klimakatastrophe etwas entgegensetzen soll, ist in diesem Land kein einfaches Vorhaben: Spanische Eroberung (genau hier, in dieser Region, kämpfte der Maya-Quiché Fürst Tecun Uman seine letzte Schlacht gegen Pedro de Alvarado), Militärputsche, 36 Jahre Bürgerkrieg bis in die 1990er Jahre, Genozide an der indigenen Bevölkerung und anhaltende Gewalt, Korruption, Rassismus und Armut halten Guatemala im Würgegriff – für viele ist die letzte Möglichkeit die Auswanderung in den USA, hier in Pachaj hat jeder Familienangehörige jenseits der Grenze. Seit Trump bedeutet das noch mehr Angst (etwa vor drohenden Deportationen) als sonst.

Die Bäume sind hier nicht einfach „nur“ Spender von Luft, Schatten und Wasser: Sie tragen in sich auch lebendige Erinnerung.

Und so erwähnte ich das Projekt bereits häufiger bei den Workshops in Ahlem, wenn wir einführend über „Bäume als Erinnerung“ sprechen, bevor die alte Kastanie mit ihrer Feuernarbe als „Zeitzeuge“ in Erscheinung tritt – und die Setzlinge an die Klassen verteilt werden, um Ahlem wieder „in die Welt zu tragen“. Hier im Projekt ist man natürlich gleichermaßen fasziniert von der Geschichte dieser Kastanie, die in ihrer Narbe die „Erinnerung“ wachhält, an die schönen Momente der Gartenbauschule, und an den Terror der Laubhütte als Ort von Hinrichtungen und Beweisvernichtung.

Und so entschlossen wir uns kurzerhand, die „Ahlem-Kastanie“ nun wirklich „in die Welt“ zu tragen – bis nach Pachaj, Guatemala: Mit Freund*innen und der Familie malten wir also ein weiteres Wandbild an das „tätowierte Haus“: Und so steht die Kastanie jetzt hier, gleich neben dem Abbild von Chico Mendes: Im Hintergrund sehen wir den Vulkan Santa Maria und den aktiven Santiaguito, außerdem la „Muella“, der Berg, auf dem ein Riese stolperte, weshalb dort ein Stück fehlt (dieses liegt nun als heiliger Hügel hier vor der Baumschule). Über ihnen steht der blaue Himmel, mit der Sonne links und dem Halbmond rechts, auf dem sich der Quetzal niedergelassen hat (dessen Brust so rot ist, da er, der Legende folgend, auf der Brust des blutenden, geschlagenen Tecun Umans ein paar Tränen weinte). Auf all diesen Bergen sehen wir die frisch gepflanzten Bäume des „Chico Mendes“ Projektes, und in der Mitte, ganz zentral, erwachsend aus riesigen, spiralförmigen „Wurzeln der Erinnerung“, erhebt sich die „Ahlemer-Zeitzeugen-Kastanie“ aus der Erde, mit seiner markanten Narbe, über die zwei Kinder ein Herzpflaster kleben. Darüber der Spruch, der auf diesen Wandbildern nie fehlen darf, und der hier auf zwei Weisen gelesen werden kann: „Los arboles de memoria son lucha y resistencia“ (Die Bäume der Erinnerung sind Kampf und Widerstand“) – oder aber: „Los arboles de lucha son memoria de resistencia“ (Die Bäume des Kampfes sind Erinnerung des Widerstandes).

Die Geschichte der „echten“ Ahlem-Kastanie haben wir aufgeschrieben und ausgedruckt, um allen, die hier vorbeikommen, ihre Geschichte erzählen zu können – und wir enden mit der Aussage: Bäume statt Gefängnisse – zu allen Zeiten und überall!

Nun geht es bald zurück nach Mexiko, wo wir in der Hauptstadt unseren neuen Report über die zerstörerischen Megaprojekte im Süden des Landes drucken werden. Anschließend werden wir diese zu den rebellischen Gemeinden in Chiapas und nach Guatemala bringen – denn u.a. der „Tren Maya“ und der „Interozeanische Korridor“ sollen hierher ausgeweitet werden. Dazu ist gerade ein Artikel von mir im „nd“ erschienen, welchen ihr auch online nachlesen könnt:

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188676.industrialisierung-in-mexiko-mexikos-megaprojekte-im-dschungel-verrat-an-den-maya.html

Das nächste Mal melde ich mich dann wieder aus Mexiko-Stadt – und sende euch bis dahin viele Umarmungen aus dem Mondlicht von Xelaju,

euer Victor.

 

 

 

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